«Wir können einfach nicht miteinander!» Eine Aussage, die suggeriert, dass Zusammenarbeit von...
Veränderung im System – was meine Hündin über Teamdynamik lehrt
Es stürmt heftig und regnet wie schon lange nicht. Der Herbst ist da und wir kämpfen uns durch die Dunkelheit, weil Umdrehen noch keine Option ist. Aber dieses Mal ist es anders: Wir sind nur zu zweit – Willow und ich. Ohne Toffy. Sie hatte zwei harte Nächte und will einfach nur liegen, mit diesem Blick: «Ich würde gern, aber ich kann gerade nicht.
Das Abend-Trio, das plötzlich keines mehr ist
Systeme sind fragil, und ich behaupte sogar, dass sie fragiler sind, als wir denken. Systeme sind Teams, Gruppen, Zusammensetzungen – kurz: Einheiten. Das wurde mir in diesen Tagen bewusst, als ich mit nur einer unserer Hündinnen spazieren ging.
Unsere 13-jährige Toffy hat das beachtliche Alter einer Weisen erreicht, und ihr Körper beginnt, Grenzen aufzuzeigen. Die 8-jährige Willow, die Jüngere, ist hingegen topfit und im besten Alter. Jahrelang waren wir zu dritt in Nächten wie dieser unterwegs – Toffy, die geheime, stolze Rudelführerin der Vierbeiner, und Willow, die lustig, quirlige Quatschkanone.
Ein eingespieltes System aus Chefin (das bin ich), stolzer Rudelführerin und Quatschkanone ist plötzlich wie hängengeblieben. Plötzlich sind wir nur noch zu zweit, und mit dem Wegfall eines Elements in dieser Dreier-Konstellation verändert sich alles -an diesem ersten Abend ohne Toffy.
Darum habe ich zu Toffy gesagt: «Du darfst gerne pausieren, musst aber wieder fit werden. Dreizehn ist zu früh.»
Natürliche Positionierung
Seit Willow dabei ist, sind wir also abends zu dritt unterwegs, und ich habe nie darüber nachgedacht, was jede von ihnen in diese Spaziergänge einbringt. Es war einfach selbstverständlich.
Toffy gibt den Ton an – ruhig und souverän, mal voraus, mal hinterher –, während Willow verspielt und sorglos mittapst. Toffys Leine locker um den Hals, Willows gespannt. Jetzt laufen wir zu zweit und plötzlich passiert etwas. Wäre es nicht traurig, wäre es fast faszinierend zu beobachten: Willows Haltung und Gangart sind anders. Spürbar anders. Sie läuft nicht mehr einfach neben mir her. Sie führt. Sie schaut sich um. Sie checkt mit einem Blick zu mir, ob wir okay sind. Intensiver. Fragender. Verbundener. Als würde sie sagen: «Nur du und ich – geht das überhaupt?»
Und ich merke: Toffy ist diejenige, die all die Jahre Sicherheit ausstrahlte. Nicht laut oder auffällig, obwohl sie grösser ist und ihr seltenes Bellen einen zusammenzucken lässt – einfach durch ihre Präsenz. Willow lief einfach mit: entspannt, neugierig witternd und ohne besondere Rolle in unserer Konstellation. Sie durfte einfach Willow sein – die Jüngere, die Verspieltere, die mit einem eigenen Sicherheitsanker. Willow war da, Teil des Systems, aber nicht prägend. Denn das war Toffys Rolle. Dachte ich.
Doch plötzlich wächst Willow in einen Raum hinein, von dem ich nicht wusste, dass er in ihr existiert. Ohne Toffy läuft sie völlig anders. Sie ist aufmerksam, fokussiert, wittert mit mehr Anspannung und übernimmt die Haltung, die ich sonst bei Toffy beobachtet habe. An der Leine ist mehr Zug, und ihr Blick zu mir hat sich verändert. Plötzlich orientiert sie sich an mir und zeigt mir eine neue Seite - eine intensivere Verbindung. Sie breitet sich im Vakuum aus, das Toffys Abwesenheit während des Spaziergangs hinterlassen hat.
Der Schatten des Top Performers
Hier liegt für mich das Tragische - und der Punkt, der mich wie verrückt tippen lässt, weil er mich traurig macht: Willow war die ganze Zeit im Schatten von Toffy. Nicht unglücklich oder unterdrückt, aber in unserer Dreier-Konstellation wohl unterschätzt.
Sie ist selbstbewusst und lustig, doch ihr volles Potenzial – diese Präsenz, die ich jetzt sehe – war nie ganz da. Das zeigt sie mir jetzt. Es braucht den Raum, den Toffy in den letzten beiden Spaziergängen gegeben hat, damit Willow so richtig aus sich herausgehen konnte. Das ist irgendwie schade zu beobachten – mega schade sogar.
Ich frage mich: Hätte sie nicht die ganze Zeit schon diese Willow sein können? Habe ich da etwas übersehen? Hätte Toffy nicht auch mal weniger präsent sein können, damit auch Willow brillieren kann? Oder hätte ich bewusster hinschauen und Räume schaffen müssen, statt das System laufen zu lassen?
Oder hätte Willow sich positionieren sollen?
Von der Hündin zum Team – zu uns allen
Ich denke an die Teams, mit denen ich arbeite. An die Menschen, die ich begleite. Und ich sehe dasselbe Muster, das diese Hundegeschichte widerspiegelt. Jedes Mitglied bringt etwas ins System ein.
Da ist der Top-Performer, die Souveräne, diejenige, auf die sich alle verlassen. Und dann sind da die anderen – die mitlaufen, funktionieren und ihren Job machen. Wie viele von ihnen sind wie Willow? Voller ungelebtem Potenzial, das erst sichtbar wird, wenn die Toffys dieser Welt mal ausfallen. Oder wenn dieser Top-Performer fehlt.
Dann verändert sich die gesamte Dynamik. Ins Positive wie ins Negative bewegt Veränderung im Team – das System, in dem sich die Menschen miteinander arrangiert haben. Heute, nach dem Spaziergang zu später Stunde, frage ich mich: Braucht es wirklich den Ausfall, den Weggang oder die Abwesenheit eines Mitglieds, damit andere ihre Rolle finden?
Ich schaue Willow an, die mich aufmerksam anschaut, und finde: Nein. Das darf nicht sein.
Nur weil jemand die Rolle des Top-Performers innehat, sollte sie nicht dauerhaft in dieser Rolle bleiben. Andere können diese Rolle auch übernehmen - wenn man sie lässt und ihnen den Raum gibt. Wenn wir nicht warten, bis das System uns zwingt, sondern bewusst Platz machen und Raum schaffen.
Die Frage, die bleibt
Welche Rolle spielst du in deinem Team? Und welche Rolle könntest du noch spielen?
Oder anders gefragt: Bist du die Toffy, die allen Sicherheit gibt, aber vielleicht auch den Raum nimmt? Oder bist du die Willow, die im Schatten läuft und darauf wartet, dass jemand sagt: «Jetzt bist du dran?»
Systeme verändern sich - ob wir wollen oder nicht. Menschen fallen aus, gehen, werden krank, wechseln die Rolle. Die Frage ist nicht ob, sondern wie wir damit umgehen.
Schaffen wir Räume, bevor das System uns dazu zwingt? Oder lassen wir es so lange laufen, bis jemand fehlt - und wir erst dann merken, was alles möglich gewesen wäre?
Ich denke an Toffy. An den Druck, den sie sich vielleicht auferlegt hat, weil Willow mal wieder abgehauen ist und Schabernack trieb, während wir sie suchten.
Der Wunsch der raus muss
Ich hoffe, dass Toffy bald wieder mitläuft. Ich weiss, dass da mein gnadenloser Optimismus spricht – der Teil in mir, der glaubt, dass sie wieder mit uns laufen kann und wir die Stürme der Nacht zu dritt bezwingen.
Und wenn sie sich wieder erholt hat, hoffe ich, dass Willow nicht wieder in den Schatten der Top-Performerin zurückgeht. Dass ich sie anders sehe und wir einen Weg finden, auf dem beide sein können, wer sie sind.
Dreizehn ist kein Alter. Für einen Hund nicht. Für ein Team schon gar nicht. Aber es ist alt genug, um zu verstehen: Systeme sind zerbrechlich. Und die Menschen darin – oder in meinem Fall die Hündin – verdienen es, gesehen zu werden. Bevor jemand fehlt und Platz macht.