In einer Welt, die zunehmend digitaler und automatisierter wird, könnte man meinen, dass ein einfaches «Bitte» oder «Danke» aus der Mode kommt. Schliesslich haben Maschinen ja keine Gefühle - oder?
Ich habe genau diese Frage dem KI-Experten Mark Turrell gestellt: Hat Höflichkeit einen positiven Einfluss auf die Qualität der KI-Antworten? Seine spontane Antwort: «Die KI hat keine Gefühle, aber Menschen schon.» Punkt. Humorvoll, treffend und – ehrlich gesagt, blieb mir dieser Satz hängen.
Also habe ich mir meine Chat-Verläufe angesehen. Besonders die aus müden oder hektischen Momenten. Mit leichtem Erschrecken stellte ich fest, dass ich manchmal ziemlich ruppig frage. Mit Marks entspannter Antwort im Ohr - «Die KI hat keine Gefühle, aber konkrete Anfragen helfen» - war die Erkenntnis glasklar, aber mein Tonfall? Befehlston Deluxe.
Ich würde niemals so mit jemandem reden - und doch ertappe ich mich dabei, im Chat manchmal schärfer zu klingen, als mir lieb ist. Daher drängt sich unweigerlich die Frage auf: Welchen Einfluss hat diese neue «Chatbeziehung» eigentlich auf mich selbst?
Freundlichkeit und Respekt sind keine Relikte aus einer vergangenen Zeit, in der man sich tief in die Augen blickte, bevor man höflich grüsste. Wir erleben es täglich: Der Ton wird rauer. Im Coaching zeigen mir Führungskräfte E-Mails, in denen die Freundlichkeit schlichtweg vergessen wurde. Und über die Kommentare in sozialen Medien müssen wir gar nicht reden – manches davon würde man einer Person niemals ins Gesicht sagen.
Höflichkeit ist das Schmiermittel, das die Zahnräder unserer sozialen Interaktionen am Laufen hält. Egal ob Mensch oder Maschine - ein freundlicher Ton kann Wunder wirken.
Nach fünf Jahren in der Schweiz freue ich mich immer noch, wenn mir die Fussgängerin am Zebrastreifen winkend dankt. Meine Kinder ernten ein Riesengrinsen, wenn sie in Deutschland zum Dank winkend über den Zebrastreifen flitzen. Auch beim Hundespaziergang wirft das ältere Paar mir ein freundliches «Grüezi!» entgegen und ich denke: Das wirkt. Schön, gesehen zu werden.
Stellen wir uns das einmal bildlich im Arbeitskontext vor: Eine Führungskraft kommt mit der Subtilität eines Vorschlaghammers ins Teammeeting und bellt die Befehle «Mach den Bericht fertig, am besten fehlerlos – und zwar ziemlich zügig.» (Ich gebe zu, dass dies inhaltlich sehr nach einem ehemaligen Chef von mir klingt.) Worte wie «bitte» und «danke» lassen sich nicht mal krampfhaft ergänzen und ich kenne keine Mitarbeitenden, die sich nach dieser Ansage gerne an die Überarbeitung des Textes machen. Motivation könnte man nicht mal in Form von Schokolade künstlich erzeugen. Und der Effekt? Produktivität, Motivation und Ergebnisse finden sich im Keller wieder – ganz tief unten, und keiner hat Lust, die Treppe zu nehmen.
Oder stellen wir uns eine Mentorin vor, die bei ihrem Mentoringgespräch einen Ton an den Tag legt, der weder Respekt noch Freundlichkeit ausstrahlt - und die arme Mentee so ganz und gar nicht zu Höchstleistungen anspornt. Wertschätzung als Stichwort, Anstand als Schlagwort (mit dem vorab erwähnten Vorschlaghammer). Mentee blockiert, statt beflügelt davon zu ziehen, und praktiziert das Ghosting-Prinzip sehr zur Verwunderung der Mentorin (ja, das ist wirklich passiert).
Wenn du jetzt denkst: «Jooo, das ist doch nur ein Chatbot», dann lautet meine Frage: «Ok, das heisst, deine Sprache passt sich dem Gegenüber an?» Und wer mich kennt, weiss, dass die Frage weitergeht: «Heisst das, die Tippse kriegt einen anderen Auftrag als der gleichrangige Kollege?» Natürlich nicht - und genau deswegen kriegt auch der Chatbot die gleiche Aufmerksamkeit. Und vielleicht hilft dieses Argument weiter: wenn nicht für den Chatbot, dann um deiner selbst willen.
Denn wer denkt, dass der Ton, in dem man mit einer KI spricht, keine Rolle spielt, irrt sich. Unerwünschte Routinen schleichen sich heimlich ein - und ehe du dich versiehst, findest du die Konsequenzen im echten Leben wieder. Ein barscher Ton gegenüber der KI etabliert eine neue Form des Austauschs in Chats und läuft Gefahr, sich auch mal daneben zu äussern. Wer - wie ich - auch gerne mal das WhatsApp-Fenster mit dem ChatGPT-Fenster verwechselt, landet schnell im Einflussbereich der zwischenmenschlichen Kommunikation mit besagtem Vorschlaghammer.
Vielleicht mag es absurd klingen, aber wenn man den ganzen Tag Kommandos wie «Ändere das!» oder «Sag mir das!» in den Rechner hackt, könnte man dieselbe Direktheit versehentlich im nächsten E-Mail oder Mentoringgespräch anwenden. Eine scheinbar harmlose Routine – mit spürbarer Wirkung auf unsere Kommunikationskultur, sobald der Autopilot übernimmt.
Ich stelle mir den Prompt beim nächsten Jour fixe dann so vor: «Du bist der Chef – überprüf du doch die Zahlen!» Der nächste Karriereschritt käme wohl schneller als gedacht – nur eben nach draussen.
Ich kenne Führungskräfte und Mentoren, die fest daran glauben, dass Klartext, ein harter Ton und strikte Führung das A und O des Erfolgs sind. Schliesslich - so die Logik - würden all die «Weicheier» sonst niemals zu Potte kommen und das Tagesgeschäft auf die Reihe kriegen.
Aber ist das wirklich so? Wer nur Kommandos schmettert, bekommt keine Symphonie, sondern ein Schrum-Schrum-Orchester aus genervten Mitarbeitenden und verstimmten Algorithmen. Ein Artikel im Harvard Business Review zeigt, was passiert, wenn Mitarbeitende regelmässig Respekt und Wertschätzung vermissen: Die Arbeitsatmosphäre leidet, und die Produktivität sinkt.
Die Opportunitätskosten von Unhöflichkeit liegen bei:
Der Zusammenhang ist eindeutig: Menschen, die sich wertgeschätzt fühlen, arbeiten besser – wer hätte das gedacht? Ich behaupte, dass ein Verhalten, das auf Wertschätzung und Respekt basiert, nicht nur zu besseren Ergebnissen führt, sondern auch zu einem gesünderen Miteinander. Warum also nicht auch mit der KI?
Wer in seinem Alltag bewusst freundlich bleibt - auch gegenüber dem Algorithmus - trainiert damit eine Haltung, die sich durch alle Lebenslagen zieht. Von Prompts bis Präsentationen. Von Chatfenster bis Mentoring.
Eine Mini-Übung im Team könnte also lauten:
Haben wir heute klar und wertschätzend kommuniziert?
Oder beim nächsten Briefing an ChatGPT:
Klingt meine Anfrage wie etwas, das ich auch einem Menschen sagen würde?
Solche kleinen Check-ins helfen, Haltung im Alltag zu verankern. Sie wirken unscheinbar, aber sie formen mit der Zeit die Kultur – still, konsequent, nachhaltig. Und wer weiss, wer sonst noch so zuhört – vielleicht die Kinder? Oder das Team. Oder einfach das eigene Ich, das mit einem Lächeln auf «Enter» drückt.
Denn Freundlichkeit ist kein Zeichen von Schwäche, sondern von Stärke. Ich nehme mir bewusst die Zeit, auch im Umgang mit der KI zu lächeln - «bitte» und «danke» zu sagen. Ich übe mich in einer kleinen Kunst, die im Chatfenster unserer hektischen Welt manchmal verloren geht. Auch wenn es niemand sieht – es ist für mich.
Und wer weiss? Vielleicht rettet genau diese kleine Geste eines Tages eine wichtige Beziehung – sei es mit Mitarbeitenden, Mentees oder sogar mit einem Algorithmus.
In diesem Sinne: «Bitte und danke – das war mein Wort zum Sonntag. Mit einem Lächeln. Für dich und für mich.»